Juni 2022
Schüchterne Neutrinos auf der Waage
„Ich arbeite am Experiment Project 8, mit dem wir die Neutrinomasse direkt messen wollen. Dazu nutzen wir den Beta-Zerfall von Tritium – ein instabiles Wasserstoff-Isotop – in ein Helium-Isotop, ein Elektron und ein Neutrino. Hinter Project 8 steht eine internationale Kollaboration. In Mainz untersuchen wir, wie man eine Tritium-Quelle für das spätere Experiment baut.
Neutrinos sind allgegenwärtige Teilchen und wir kennen sie schon recht lange. Im Standardmodell der Teilchenphysik haben Neutrinos überhaupt keine Masse – ähnlich wie die Lichtteilchen, die Photonen. In Experimenten hat man allerdings nachgewiesen, dass Neutrinos Masse haben.
©: Angelika Stehle
Doch warum kennen wir die Masse der Neutrinos noch nicht? Weil sie so gut wie gar nicht mit Materie wechselwirken. Deshalb nennen wir sie auch Geisterteilchen. Wir müssen also sehr clever sein und haben uns bei Project 8 eine neue Technik überlegt: die CRES oder Cyclotron Radiation Emission Spectroscopy. Dabei messen wir die Energie der beim Beta-Zerfall von Tritium entstehenden Elektronen über ihre Umlauffrequenz in einem Magnetfeld.
Anhand einer Miniversion des Experiments konnten wir bereits zeigen, dass die CRES-Technik funktioniert. Aktuell entwickeln wir eine Tritium-Quelle für das spätere große Experiment. Eine Besonderheit ist, dass wir hierfür einzelne Tritiumatome brauchen – welche wir aus der Spaltung von Tritium-Molekülen erzeugen. Da Tritium hochradioaktiv ist, entwickeln wir zunächst eine ähnliche, aber sicherere Quelle. Hierzu nutzen wir in Mainz „normalen“ Wasserstoff, den wir inzwischen sehr gut in einzelne Atome zerlegen können. Sobald wir in der Lage sind, aus diesen Wasserstoffatomen einen Strahl zu erzeugen, können wir die Technik auf Tritium übertragen. Die Arbeit, die wir jetzt leisten, ist Teil eines fünfjährigen Forschungs- und Entwicklungsprogramms, das als Grundlage für das endgültige Project 8 Experiment dient.
Die Neutrinophysik fasziniert mich, da Masse eine so grundlegende Eigenschaft ist und wir sie doch noch nicht kennen. In der Physik in Mainz gefällt mir vor allem, dass bereits Bachelor Studierende intensiv in aktuelle Forschungsvorhaben eingebunden sind. So können vor allem weibliche Studierende bereits sehr früh von Vorbildern lernen.“
Dr. Larisa Thorne ist Postdoc in der Gruppe von Prof. Dr. Martin Fertl. Zur Neutrinophysik kam sie sie eher durch Zufall, nach einem Umweg über ein kernphysikalisches Thema. Sie promovierte mit einer Arbeit am KATRIN Neutrinoexperiment und begann zwei Wochen nach ihrer Doktorprüfung im Juli 2021 als Postdoc in Mainz.