Mainzer Forschern gelingt direkte Berechnung der hadronischen Licht-an-Licht-Streuung

Rätselhafter Quantenprozess erstmals direkt berechnet

03.12.2015

Ein Mainzer Team um Univ.-Prof. Dr. Harvey Meyer vom Institut für Kernphysik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) hat erstmals eine direkte Berechnung eines wichtigen Prozesses in der subatomaren Welt vorgelegt. Diese sogenannte hadronische Licht-an-Licht-Streuung spielt eine wichtige Rolle für die Erkundung der Grenzen des Standardmodells der Elementarteilchenphysik, das unser gegenwärtiges Verständnis des Mikrokosmos zusammenfasst.

Die Quantenelektrodynamik als Teil des Standardmodells beschreibt die Wechselwirkungen von Lichtquanten mit Materie. Sie sagt u.a. vorher, dass es eine Streuung von Lichtquanten, den Photonen, an anderen Photonen gibt. Diese Vorhersage steht im deutlichen Gegensatz zur bei makroskopischen Skalen gültigen klassischen Theorie, nach der Lichtstrahlen einander ohne Wechselwirkung passieren. In der Quantentheorie geschieht diese Streuung durch die Vermittlung sogenannter virtueller Teilchen, die aufgrund der Heisenbergschen Unschärferelation kurzzeitig aus dem Vakuum erzeugt werden können.

Die Mainzer Physiker haben einen speziellen Beitrag zu dieser Licht-an-Licht-Streuung betrachtet, bei dem die virtuellen Teilchen sogenannte Hadronen sind, die der starken Wechselwirkung unterliegen. Im Gegensatz zum Beitrag virtueller Elektronen lässt sich der hadronische Beitrag nicht mit bekannten analytischen Methoden berechnen. „Hadronen sind aus Quarks aufgebaut“, erklärt Prof. Meyer. „Aber die Quarks können nicht aus den Hadronen herausgelöst werden. Dieses Wechselspiel, das man auch Quark-Hadron-Dualität nennt, zusammen mit der Stärke der Wechselwirkung, macht das Problem so schwierig.“

Die Forschergruppe hat die hadronische Licht-an-Licht-Streuung daher mit Methoden der Gitter-Quantenchromodynamik (Gitter-QCD) mittels groß angelegter Computer-Simulationen berechnet. Am Superrechner „Clover“ am Helmholtz-Institut Mainz (HIM) konnten die Wissenschaftler die enorme Menge an Rechenoperationen in relativ kurzer Zeit durchführen. „In der vorliegenden Studie steckt das Äquivalent von rund einer Million Stunden Rechenzeit auf einem typischen PC-Prozessor - das sind über 100 Jahre“, erläutert Dr. Georg von Hippel, einer der Koautoren der Studie. „In der Zukunft werden wir noch viel mehr Rechenzeit benötigen, um unser eigentliches Ziel zu erreichen.“

Denn die gegenwärtige Studie, die im renommierten Fachjournal Physical Review Letters erschienen ist, ist für die Mainzer Wissenschaftler, deren Forschung durch den Exzellenzcluster „Precision Physics, Fundamental Interactions and Structure of Matter“ (PRISMA) gefördert wird, nur ein Etappenziel. „Die direkte Berechnung der Licht-an-Licht-Streuung in der Gitter-QCD ist bahnbrechend“, meint PRISMA-Sprecher Univ.-Prof. Dr. Hartmut Wittig, „aber unser eigentliches Ziel ist die präzise Bestimmung aller hadronischen Beiträge zum anomalen magnetischen Moment des Myons.“ Das magnetische Moment ist eine Eigenschaft des Myons (eines schwereren Cousins des Elektrons), die sich experimentell mit hoher Genauigkeit messen und theoretisch genau vorhersagen lässt. Die hadronische Licht-an-Licht-Streuung liefert dabei einen kleinen, aber wichtigen und bisher nur wenig genau bekannten Beitrag zur theoretischen Vorhersage.

Der Vergleich von Theorie und Experiment ermöglicht es, die Grenzen des Standardmodells der Elementarteilchenphysik auszuloten. Und genau in diesem Vergleich besteht seit Jahren eine kleine, aber deutliche Diskrepanz zwischen theoretischer Vorhersage und experimenteller Messung. „Es ist noch zu früh, zu sagen: das ist ein Hinweis auf neue Physik“, meint Meyer, „auch wenn die Indizien tendenziell in diese Richtung zeigen. Aber bevor die physikalische Community bereit ist, sich so weit aus dem Fenster zu lehnen, müssen erst alle Unsicherheiten unter Kontrolle gebracht werden.“

Eine wesentliche Quelle von Unsicherheit ist bislang genau der Beitrag der hadronischen Licht-an-Licht-Streuung. Mit Hilfe der nun von den Mainzern vorgeführten Techniken sollte es in der Zukunft möglich werden, diesen Beitrag mit größerer Genauigkeit vorherzusagen und so die Grenzen des Standardmodells mit größerer Präzision zu testen.