10. Dezember 2016
Die SWR Landesschau Rheinland-Pfalz verloste im Herbst 2016 einen Erlebnistag an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU): 22 Zuschauerinnen und Zuschauer bekamen die Chance, das Exzellenzcluster "Precision Physics, Fundamental Interactions and Structure of Matter", kurz PRISMA, zu erkunden. Der Forschungsreaktor TRIGA, der Teilchenbeschleuniger MAMI und der neue Hochleistungsrechner MOGON II standen auf der Besichtigungsliste. Dazu boten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler exklusive Einblicke in aktuelle Forschungsprojekte.
SWR-Landesschau-Moderator Martin Seidler stimmt die Besuchergruppe auf den außergewöhnlichen Tag auf dem Gutenberg-Campus ein. "Ich war noch nie einem Reaktor so nah", meint er. "20 Meter kommen hin, oder?", fragt er in Richtung von Betriebsleiter Dr. Christopher Geppert. Der nickt großzügig. "Ich bin neugierig wie Bolle!", sagt Seidler. "Allerdings sind meine Voraussetzungen denkbar schlecht." In Physik war der Moderator nie ein Ass, das gibt er freimütig zu. "Wir werden Dinge sehen, die Sie noch nie gesehen haben", verspricht er. "Es wird spannend."
Bevor es in die Halle des Mainzer Reaktors TRIGA geht, will Geppert noch das ein oder andere Detail vermitteln. "Es gibt momentan in ganz Deutschland nur noch drei Forschungsreaktoren." Einer steht in Berlin, einer in München. "Der Berliner Reaktor wird 2019 abgestellt." Dann werden es bundesweit nur noch zwei sein – und der TRIGA-Reaktor auf dem Gutenberg-Campus ist einer davon.
"Wir benutzen unseren Reaktor nicht zur Stromerzeugung", stellt Geppert klar. "Er liefert nur 100 Kilowatt Energie. Das reicht so gerade mal, um 50 Bügeleisen anzutreiben." TRIGA ist ein Werkzeug der Forschung. Einerseits werden hier Proben verschiedenster Art analysiert: Gestein gibt Anhaltspunkte über seine Herkunft, Silizium für Sonnenkollektoren wird auf seinen Reinheitsgrad überprüft und das Bundeskriminalamt bittet um genauere Auskunft zu Beweisstücken. Andererseits dient TRIGA der Grundlagenforschung: "Wir nutzen hier Elektronen für eine Art Lauschangriff auf Atomkerne", formuliert Geppert es salopp.
Physik des Universums
Insgesamt 22 SWR-Zuschauerinnen und -Zuschauer hatten über die Landesschau des Senders einen Erlebnistag an der JGU gewonnen. Nun sollten sie Einblick in die Arbeit des Exzellenzclusters PRISMA und seine Großanlagen bekommen. PRISMA befasst sich mit den grundlegenden Fragen nach der Natur der fundamentalen Bausteine der Materie und ihrer Bedeutung für die Physik des Universums. Hier werden fundamentale Fragen gestellt, auf die nur selten einfache Antworten zu finden sind. Doch nun bemühen sich eine ganze Reihe von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ihre Forschungsfelder so klar und übersichtlich wie irgend möglich darzustellen.
Nicole Lehnen und André Pöhr sind aus Kaiserslautern angereist, um am Erlebnistag teilzunehmen. "Das ist ein sehr interessantes Thema", bekräftigt André Pöhr. "Ich bin gespannt, was es hier alles anzuschauen gibt." Die beiden arbeiten in der Drittmittelabteilung der TU Kaiserslautern. Pöhr ist bereits von dieser ersten Station des Erlebnistags fasziniert.
Es geht ins Innere des TRIGA. Stahlgerüste und -treppen führen auf eine Plattform, von der aus sich der Blick in den Kern des Reaktors öffnet. In einem Wasserbecken in etwa sechs Metern Tiefe sind die Brennstäbe auszumachen. Für die Gruppe besteht keinerlei Gefahr: "Schon allein aus physikalisch-chemischen Gründen wird die Reaktion unterbrochen, wenn es zu warm wird", erklärt Geppert. "Der Reaktor würde sich automatisch abschalten." Davon abgesehen kann TRIGA mit einer ganzen Reihe von Sicherheitsvorkehrungen aufwarten. Besonders nach Fukushima wurden die Anforderungen für den Betrieb noch einmal heraufgesetzt.
Teilchenfamilien und Dunkle Materie
"Ich bin Diplomingenieur für Elektronik", erzählt Jörg-Sven Rau auf dem Weg zur nächsten Station. "Mein Kollege hat den Erlebnistag gewonnen. Wir kommen von der anderen Rheinseite und wollen einfach sehen, was die Uni zu bieten hat", erzählt er. Vom Fachlichen her fühlt er sich einigermaßen gewappnet.
Bevor es in die unterirdischen Hallen des Teilchenbeschleunigers MAMI geht, beleuchtet Prof. Dr. Achim Denig, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Kernphysik der JGU, aktuelle Forschungsfragen. "Wir wollen verstehen: Was gibt es für Teilchen? Warum gibt es zum Beispiel drei Familien von Teilchen? Würde eine nicht reichen? Es muss einen Grund geben, warum es genau diese Anzahl von Teilchen gibt." Denig erzählt von der Dunklen Materie, die 70 Prozent der gesamten Materie ausmacht. "Wir haben keine Ahnung, was das ist. Das ist so, als würden wir unsere Welt nur auf den Kontinenten verstehen und wüssten nicht, was in den Meeren vorgeht."
Das Mainzer Mikrotron MAMI soll helfen, auch hier Antworten zu finden. "Unser Teilchenbeschleuniger ist ein Gerät der Spitzenforschung, das weltweit in dieser Form seinesgleichen sucht", sagt Denig. In den nächsten Jahren wird mit MESA, dem Mainz Energy-Recovering Superconducting Accelerator, ein weiterer Beschleuniger auf dem Campus entstehen. MESA soll neue Maßstäbe setzen. "Damit können wir dann noch genauere Messungen vornehmen."
Ein Aufzug führt die Besucherinnen und Besucher in die tief unter der Erde liegenden MAMI-Hallen. Dr. Marco Dehn vermittelt einen ersten Eindruck von den Ausmaßen des Beschleunigers, während er durch die Hallen führt. Für den Laien sieht alles nach einem ungeheuren Wust aus Kabeln und Röhren aus.
7-Kilometer-Bahn für Elektronen
Im MAMI werden Elektronen beschleunigt, um sie auf ein Target, ein Ziel, zu schießen. "Schon nach ein paar Metern erreichen sie praktisch Lichtgeschwindigkeit", erläutert Dehn. "Danach nimmt nur noch die Masse der Elektronen zu." Denn mehr als Lichtgeschwindigkeit geht nicht, das ist seit Einstein bekannt. Die Elektronen sausen durch daumendicke Leitungen. "Insgesamt legen sie eine Strecke von sieben Kilometern zurück." Sie durchlaufen das Mainzer Mikrotron mehrfach, wobei sie nach jedem Durchlauf umgelenkt und wieder zum Anfang des Beschleunigers zurückgeführt werden. Für die Umlenkung sind mächtige Magnete nötig, die ein Gewicht von bis zu 450 Tonnen erreichen.
Am Ende treffen die Elektronen auf die Targets, die je nach Versuch anders beschaffen sind. "Wir bekommen so verschiedenste Reaktionsprodukte", erklärt Dehn. "Die Teilchen springen, wie beim Billardspiel die Kugeln, nach allen Seiten weg." Über turmhohe Spektrometer und Teilchendetektoren können die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ermitteln, welche Teilchen das jeweils sind.
Zur Kaffeepause geht es ins frisch errichte Helmholtz-Institut Mainz (HIM). Die Besucherinnen und Besucher zeigen sich beeindruckt. "Das ist überwältigend", bekräftigt Jonathan Kother. Der Schüler ist zusammen mit seinem Kumpel Philipp Pechtl an die JGU gekommen. "Mein Vater hat den Erlebnistag gewonnen und an uns weitergegeben. Es ist spannend zu schauen, was es hier alles gibt. Ich hatte nicht erwartet, dass auf dem Campus so viel gebaut und modernisiert wird." Kother will später studieren. "Wahrscheinlich in Mainz", meint er.
Beschleuniger selbst gebaut
Als letzte Station wartet der MOGON II auf die Gruppe. Noch nie durften Besucher dem Großrechner so nahe rücken. Er ersetzt MOGON I, der bei Inbetriebnahme im Jahr 2012 in der Liste der 500 schnellsten Hochleistungsrechner die Position 81 belegt hatte. Seitdem ist die Entwicklung fortgeschritten, die Rechner sind größer geworden. MOGON II wird nun einen Platz in den Top 100 der weltweit schnellsten Hochleistungsrechner einnehmen.
Doch bevor es zum Rechner geht, wirft PRISMA-Sprecher Prof. Dr. Hartmut Wittig in einem Vortrag den Blick auf "Urbausteine der Materie – Die fabelhafte Welt der Quarks" und Dr. Christian Schneider lädt die Gruppe ein, einmal selbst zu Hand anzulegen: Mit ein paar murmelgroßen Metallkugeln, einigen Magneten und drei Metallschienen dürfen die Besucherinnen und Besucher das vereinfachte Modell eines Beschleunigers bauen.
Nach sechs Stunden neigt sich die Tour dem Ende. Doch die Faszination der Besucherinnen und Besucher ist ungebrochen und scheint regelrecht zu elektrisieren. SWR-Landesschau-Sprecher Martin Seidler ist noch mitten im Thema: "Was passiert, wenn wir hier zwei Magneten einsetzen und da zwei Kugeln ...?" – "Wird es schneller, wenn wir gleich drei Kugeln nehmen?", wirft ein Besucher ein. Der Spieltrieb ist geweckt. Das ist PRISMA zum Anfassen.