In den Sommerferien 2016 haben 24 Schülerinnen und Schüler an der 1. Mainzer Teilchenphysik-Akademie teilgenommen. (Foto: Stefan F. Sämmer)
19. September 2016
In den Sommerferien waren 24 Schülerinnen und Schüler aus ganz Deutschland am Mainzer Mikrotron MAMI, einem Teilchenbeschleuniger für Elektronenstrahlen, zu Gast. Auf Einladung des Exzellenzclusters PRISMA haben sie hier auf dem Gutenberg-Campus die 1. Mainzer Teilchenphysik-Akademie besucht. Prof. Dr. Matthias Schott vom Institut für Physik der JGU hat diese außergewöhnliche Veranstaltung konzipiert und organisiert, die über zwei Wochen hinweg Lehre und Forschung auf hohem Niveau zusammengebracht hat.
Der Aufzug fährt in die Tiefe, hinunter in die große Halle des Mainzer Mikrotrons MAMI. Mächtig ragen hier unter der Erde die Aufbauten des Teilchenbeschleunigers in die Höhe. Eher unscheinbar wirken dagegen eine hölzerne Schiene, gerollte Kabel, eine Minikamera und einige weitere Geräte, die in einer Ecke auf dem Betonboden auf ihren Einsatz warten.
"Wir müssen die Kabel verlegen, wir müssen überhaupt das Ganze installieren. Und wir müssen schauen, wo wir die Kamera anbringen, damit wir das Experiment beobachten können", erklärt Doktorand Andreas Düdder. "Am besten teilen wir uns auf, damit wir möglichst wenig Zeit verlieren, denn das geht alles von unserer Strahlzeit ab."
CERN als Vorbild
"Fünf Schülerinnen und Schüler machen sich konzentriert an die Arbeit. "Die Fixierung der Targets wird nicht einfach", gibt Düdder ihnen noch mit auf den Weg. "Ich habe schon mal geschaut: Sie passen natürlich nicht in die Lücke, also werden wir sie immer ein bisschen schräg setzen." Dann erklärt er noch mal den Aufbau. "Der Strahl kommt hier durch das Rohr ...
Das Forschungsprojekt der Mainzer Teilchenphysik-Akademie tritt in seine letzte Phase. Zwei Wochen waren 24 Schülerinnen und Schüler zwischen 15 und 18 Jahren aus ganz Deutschland an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) zu Gast. Der Exzellenzcluster "Precision Physics, Fundamental Interactions and Structure of Matter", kurz PRISMA, hatte erstmals zu dieser außergewöhnlichen Ferienakademie eingeladen. Die Idee dazu stammt von Matthias Schott, Juniorprofessor der Forschungsgruppe Experimentelle Teilchen- und Astroteilchenphysik (ETAP) am Institut für Physik der JGU.
Bevor Schott nach Mainz kam, arbeitete und forschte er über Jahre am Genfer Forschungszentrum CERN, der Europäischen Organisation für Kernforschung. "Dort gab es ein Projekt, das unter dem Namen 'Win a Beamline' Schulklassen aus ganz Europa aufforderte, sich an einem Wettbewerb zu beteiligen. Die Gewinnerklasse kam dann für ein Experiment ans CERN. Ich dachte, wir könnten bei PRISMA etwas Ähnliches anbieten. Schließlich haben wir hier in Mainz auch einen ganz besonderen Teilchenbeschleuniger – und mit dem Exzellenzcluster PRISMA ein hervorragendes Umfeld."
Schott holte allerdings keine geschlossene Schulklasse nach Mainz. "Wir wollten ganz gezielt Schülerinnen und Schüler auswählen, die sich besonders für Teilchenphysik interessieren." Der Professor und sein Team konzipierten ein aufwendiges Bewerbungssystem. Unter anderem sollten die Schülerinnen und Schüler ein Motivationsschreiben verfassen, eine Referenz von ihren Physiklehrerinnen und -lehrern einholen und spezielle Aufgaben aus den Bereichen Mathematik und Physik lösen.
Hohe Anforderungen
"Zwischendurch habe ich mich ab und zu gefragt, ob das nicht ein bisschen viel verlangt ist", räumt Schott ein. "Aber dann bekamen wir 60 Bewerbungen von durchweg hohem Niveau – und ungefähr die Hälfte von Mädchen. Das hat uns besonders gefreut, denn der Anteil an Studentinnen im Physikstudium ist normalerweise deutlich geringer."
Finanziert wird die gesamte Teilchenphysik-Akademie von den Übernachtungen in einer Jugendherberge über die Verpflegung bis hin zum umfangreichen Lehr- und Betreuerteam vom Exzellenzcluster PRISMA. Die Mainzer Physiker wollen mit der Veranstaltung für den Forschungsstandort Mainz werben und den Teilnehmerinnen und Teilnehmern vielleicht auch ein Studium an der JGU schmackhaft machen.
Im Mittelpunkt der 1. Mainzer Teilchenphysik-Akademie steht ein grundlegendes Experiment zur sogenannten Vielfachstreuung von relativistischen Elektronen: Es geht darum herauszufinden, welche Abweichungen der Flugbahn von Elementarteilchen beim Durchgang durch unterschiedliche Materialien zu erwarten sind. Das konkrete Experiment, insbesondere den Bau der eigenen Detektoren und die Planung der Versuchsanordnung am MAMI-Beschleuniger, haben die Schülerinnen und Schülern selbst ausgearbeitet.
Während die erste Arbeitsgruppe in der MAMI-Halle werkelt, warten die übrigen vier Gruppen in einem oberirdischen Raum auf ihre Schicht. Jede wird ihren Teil zur Installation des Experiments beitragen. Auf einem großen Tisch haben die Schülerinnen und Schüler inzwischen deutliche Spuren hinterlassen. Zwischen ihren Laptops ist eine bunte Landschaft aus Cornflakes-Packungen, Chips- und Kekstüten entstanden. Darauf angesprochen, meint ein Teilnehmer breit grinsend: "Wir müssen dem Körper eben etwas bieten, damit der Geist Lust hat, darin zu wohnen."
Begeisterte Teilnehmer
Die Atmosphäre ist locker, aber konzentriert. Von Hierarchie ist hier wenig zu spüren, auch wenn der Professor als Fachmann und Ansprechpartner im Mittelpunkt bleibt. Die Schülerinnen und Schüler haben schon einige Vorlesungen und Übungen hinter sich, die durch tatkräftige Unterstützung von anderen Professoren und Wissenschaftlern der JGU angeboten werden konnten. Es ging unter anderem um Teilchenphysik und Detektoren, um Datenanalyse und Programmierung. Daneben entwickelte jedes Team nach und nach sein Experiment.
"Am Ende hat jede Gruppe ihr Experiment präsentiert", erzählt Louis Jussos. Die besten Komponenten aus den Vorschlägen der fünf Teams wurden dann ausgewählt – wie es eben im regulären Experimentierbetrieb an einem Teilchenbeschleuniger üblich ist. Jussos ist aus Berlin angereist. Die zwei Wochen hier beurteilt der 18-Jährige trocken als "anspruchsvoll, aber zu bewältigen". Dann gerät er ein wenig ins Schwärmen. "In der Schule wäre so etwas wie hier nicht möglich. Die Vorlesungen waren gut, vor allem die Teilchenphysik-Vorlesung von Sam Webb, die war toll."
Dr. Samuel Webb gehört wie Andreas Düdder zur Arbeitsgruppe, die Prof. Dr. Matthias Schott mit seiner von der VolkswagenStiftung geförderten Lichtenberg-Professur innerhalb der ETAP-Forschungsgruppe zusammenstellen konnte. Gemeinsam mit gut einem Dutzend weiterer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kümmern sie sich um die Schüler.
"Die Betreuung hier ist super", meint Tobias Raum. Der 16-Jährige ist aus Bad Homburg angereist. "Manchmal ist es ein bisschen viel Stoff für die kurze Zeit, aber wir können immer nachfragen." – "Es ist auch nicht alles starr vorgegeben", ergänzt Vivien Müller. Die 17-Jährige kommt aus dem Ostalbkreis. "Wie können selbst Vorschläge machen. Wir wollten zum Beispiel den Gastvortrag eines bekannten Wissenschaftlers aus Princeton hören. Das fiel in unsere reguläre Vorlesungszeit, aber Matthias hat unser Programm etwas umgestellt und wir konnten unseren eigentlichen Lernstoff dann nachholen."
Fit und kreativ
Morgens um 9 Uhr beginnt der Arbeitstag an der Teilchenakademie, gegen 18 Uhr ist normalerweise Feierabend. "Aber wir haben auch schon länger gearbeitet", erzählt Jussos. "Und Matthias kam manchmal abends in die Jugendherberge, um eher populärwissenschaftliche Vorträge zu halten."
Nun also geht es in die Endphase. Das Experiment steht an. "Wir rechnen mit Abweichungen von unter einem Prozent", meint Raum. "Ist doch so, oder Matthias?" Schott weigert sich, die Spannung zu nehmen. "Warten wir es mal ab."
Der Juniorprofessor zieht kurz vor dem Ende der 1. Mainzer Teilchenphysik-Akademie eine positive Bilanz. "Die Arbeitsgruppen waren alle ungeheuer fit und kreativ. Jede hat einen etwas anderen Versuchsaufbau vorgeschlagen, aber alle waren sehr gut." Für die nächste Akademie könnte er sich vorstellen, noch etwas Anspruchsvolleres zu wagen. Allerdings ist noch nicht sicher, ob es eine zweite Auflage geben wird. "Die Finanzierung ist noch zu klären", meint Schott. "Aber ich hoffe natürlich, dass es wieder klappt."
Das hoffen auch die Schülerinnen und Schüler. Jussos wird zwar in Heidelberg Physik studieren. "Aber nach dem, was ich hier mitbekommen habe, bin ich schon ein wenig neidisch auf die Leute in Mainz." Und Müller meint. "Ich würde mich gern anmelden fürs nächste Jahr, wenn das möglich ist. Die 17-Jährige weiß noch nicht, wo sie studieren wird und welches Fach es sein soll. "Chemie interessiert mich auch sehr", meint sie. Warten wir mal ab …
Weiterführende Links
Mainzer Teilchenphysik Akademie
Ferien einmal anders: Bau eines Teilchendetektors an der Mainzer Uni (Pressemitteilung vom 09.08.2016)
Lichtenberg Forschergruppe Matthias Schott