06.10.2020
Seit Mitte Juli forscht Dr. Hans Steiger im Detektorlabor des Exzellenzclusters PRISMA+. Der promovierte Physiker wurde mit dem „Detector Innovation Fellowship“ ausgezeichnet und bringt – wie in der Ausschreibung gefordert – ein neues spannendes Projekt mit dem Namen TAO mit nach Mainz: TAO steht für „Taishan Antineutrino Observatory“ und ist Teil des geplanten Neutrino-Experiments JUNO in Südchina. Ziel von JUNO ist es, die Anordnung oder Hierarchie der Neutrinomassen zu bestimmen. Dahinter steckt letztlich die Frage, welches der drei aus dem Standardmodell bekannten Neutrinos das leichteste und welches das schwerste ist. Ihre Beantwortung beschäftigt Forscherinnen und Forscher auf der ganzen Welt, denn sie könnte unter anderem wertvolle Hinweise auf eine „neue Physik“ jenseits des Standardmodells liefern.
Neutrinos sind fast masselose Elementarteilchen, die unter anderem bei Fusionsprozessen in der Sonne oder radioaktiven Zerfällen in Kernreaktoren entstehen. Sie kommen in drei unterschiedlichen Arten vor, als Elektron-, Myon- und Tau-Neutrinos, und können sich ineinander umwandeln – ein Phänomen, das als Neutrinooszillation bekannt ist. Aus dem beobachteten Oszillationsmuster lassen sich auch Rückschlüsse auf die Masse der Teilchen ziehen.
JUNO nutzt Neutrinos aus zwei benachbarten, jeweils etwa 50 Kilometern entfernten Reaktorkomplexen an der südchinesischen Küste, um deren Oszillationsmuster mit noch nie erreichter Genauigkeit zu analysieren. Um diese Präzision zu erreichen, kommt TAO eine wichtige Rolle zu: Der Detektor soll ein möglichst genaues Referenzspektrum der Reaktor-Neutrinos liefern und gleichzeitig grundlegende kernphysikalische Fragen in der Reaktorphysik beantworten.
Dazu wird TAO unmittelbar außerhalb des neuen Reaktors Taishan 1 aufgebaut werden, einem der stärksten Reaktoren weltweit. Dahinter wiederum steht die Überlegung, dass sich die Elektron-Antineutrinos, die während der Spaltreaktion im Reaktor entstehen, bei der geringen Entfernung (kleiner 30 Meter) noch nicht in nennenswertem Umfang in Neutrinos anderer Art umgewandelt haben. Durch Abgleich der bei JUNO und TAO gemessenen Spektren sollte sich deshalb das Oszillationsmuster besonders präzise herausfiltern lassen.
TAO wird aus einer mit 2,6 Tonnen Flüssigszintillator gefüllten Kugel bestehen, die einen Durchmesser von zwei Metern hat. Die Lichtblitze, die eintreffende Neutrinos bzw. deren Reaktionsprodukte darin erzeugen, werden mithilfe von extrem empfindlichen Silizium-Photomultipliern detektiert. Am Ende soll TAO eine Rekord-Auflösung von 1,5 – 2 % bei einer Energie von 1MeV erreichen: Dazu ist ein völlig neues Konzept nötig – sowohl in Bezug auf den Flüssigszintillator als auch im Hinblick auf die Photomultiplier.
Damit die Silizium-Photomultiplier, die erstmals in einem Szintillationsdetektor dieser Größe eingesetzt werden, möglichst empfindlich und frei von störenden Untergrundsignalen sind, wird das komplette Detektorsystem auf -50 Grad Celsius abgekühlt. „Der Schwerpunkt meiner Forschung liegt auf der Entwicklung eines neuartigen Flüssigszintillators, der vielen Ansprüchen genügen, vor allem aber bei diesen tiefen Temperaturen chemisch stabil sein muss und gleichzeitig große Mengen Szintillationslicht produziert“, erläutert Hans Steiger. „Dazu ist es zum Beispiel nötig, durch spezielle Zusatzstoffe den Gefrierpunkt einzelner Komponenten herabzusetzen.“ Zusätzlich enthält der Szintillator Gadolinium: Dieser Zusatz führt dazu, dass die Wechselwirkung der Elektron-Antineutrinos mit dem Szintillator noch besser von störendem Untergrund zu unterscheiden ist.
Im TAO-Projekt wurde schon einiges an Entwicklungsarbeit geleistet und bei einem Test Ende 2019 der Prototyp erstmals erfolgreich auf -50 Grad Celsius abgekühlt. „Auch die Löslichkeit einer entscheidenden Komponente, des sogenannten Wellenlängenschiebers, bei tiefen Temperaturen konnten wir bereits stark verbessern“, so Hans Steiger. „Um den Flüssigszintillator für tiefe Temperaturen weiter zu optimieren und seine optischen Eigenschaften genau zu charakterisieren, ist jedoch weitere Forschung nötig.“
Dafür kann Hans Steiger künftig vor allem das Labor für Szintillations- und Fluoreszenz-Detektoren (LSFD) des Detektorlabors nutzen, das sich aktuell im Aufbau befindet und ideale Bedingungen für die Entwicklung und Charakterisierung von Szintillations- und Fluoreszenzmaterialien bietet. Insgesamt ist das Detektorlabor eine der Schlüsselinitiativen des Mainzer Clusters. Es stellt die Infrastruktur und das nötige Know-how bereit, um hochmoderne Teilchendetektoren zu entwickeln, zu bauen und zu erproben. Besondere Schwerpunkte liegen auf Spurdetektoren und Zeitprojektionskammern, Photosensoren, schneller Elektronik sowie Szintillator und Fluoreszenz-Detektoren. „Diese spezialisierte Infrastruktur, die explizit auf Detektorentwicklung zugeschnitten ist, ist für mich überaus spannend und wertvoll“, sagt Hans Steiger. „Zusammen mit der Selbständigkeit und Flexibilität, die das Detector Innovation Fellowship bietet, sind dies ideale Voraussetzungen, um das TAO Projekt in Mainz gemeinsam mit Kollegen auf der ganzen Welt weiter voranzutreiben.“
Von großem Vorteil ist es dabei, dass es mit der Gruppe um Prof. Dr. Michael Wurm bereits eine starke Mainzer Beteiligung am zentralen JUNO-Detektor gibt. Das TAO Projekt – an dem in Person von Hans Steiger erstmals eine deutsche Einrichtung beteiligt ist – ist somit ein wichtiger neuer Baustein im Portfolio des Detektorlabors und von PRISMA+. Zugleich weist es zahlreiche Schnittmengen zu existierenden PRISMA+-Forschungsthemen auf – sowohl in der Neutrinophysik als auch in der Detektorentwicklung. 2022 sollen sowohl JUNO als auch TAO an den Start gehen.
Zur Person
Hans Steiger studierte zunächst Physik und Mathematik für das Lehramt an Gymnasien in Bayern (B. Ed.) und anschließend Physik (M. Sc.) an der TU München. An der dortigen Graduiertenschule absolvierte er seine Doktorarbeit in Experimenteller Astroteilchenphysik: Hier war er bereits am JUNO Experiment beteiligt und beschäftigte sich mit hochreinen Flüssigszintillatoren – inklusive dem Aufbau und Betrieb einer Pilotanlage zur Szintillatorreinigung am Daya Bay Experiment in Shenzhen/China. Zusammen mit Prof. Dr. Michael Wurm wirkte er auch am OSIRIS Projekt innerhalb von JUNO mit – einem Detektor, der die Reinheit des Szintillators überwachen soll.