Zwei ERC Consolidator Grants zur Forschung an den Eigenschaften subatomarer Teilchen im Exzellenzcluster PRISMA+

Vier Millionen Euro für die Entwicklung von hochmodernen Teilchenphysik-Experimenten und Detektorentwicklung

09.12.2025

Prof. Dr. Martin Fertl und Dr. Stefan Schoppmann von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und dem Exzellenzcluster PRISMA+ erhalten jeweils einen ERC Consolidator Grant, eine der hochdotierten Förderungen der EU, zur Unterstützung exzellenter Projekte in der experimentellen Teilchenphysik und Detektorentwicklung. Beide Projekte haben das Ziel, unser Verständnis der Grundlagenphysik zu verbessern.

Die fundamentale Ebene der Natur wird durch das Standardmodell der Teilchenphysik beschrieben. Aber trotz seines Erfolgs kann das Modell einige Phänomene nicht erklären, wie beispielsweise die Existenz dunkler Materie oder den Überschuss von Materie gegenüber Antimaterie. Es gibt auch noch einige andere RätsSel, wie Abweichungen zwischen verschiedenen Messungen oder Abweichung zwischen experimentellen Resultaten und theoretischen Vorhersagen. Diese Rätsel zeigen uns, dass das Standardmodell nicht die ganze Geschichte erzählt und liefern erste Hinweise auf eine „neue Physik” jenseits des Standardmodells.

Präzisionsmessungen sind ein leistungsfähiger Ansatz, um Physik jenseits des Standardmodells zu entdecken. Um zu bestätigen, dass beispielsweise Abweichungen zwischen Messungen keinen experimentellen Ursprung haben, müssen die Eigenschaften der Natur mit höchster Präzision beobachtet werden. Ebenso wichtig ist es, seltene Prozesse experimentell zu untersuchen. In diesen Fällen sind die messbaren Effekte sehr klein, aber aufgrund der Informationen, die sie liefern, äußerst wichtig. Daher ist es notwendig, sie von anderen Prozessen und Hintergrundereignissen unterscheiden zu können. Dies erfordert Messungen und Berechnungen, die extrem präzise sind.

Mithilfe der neuen Fördermittel werden die beiden Forscher ihre Teams verstärken, um zwei Projekte zur Untersuchung subatomarer Teilchen durchzuführen: das Neutron im Fall von Fertls Projekt „NuLife” und das Neutrino im Fall von Schoppmanns Projekt „NuDoubt++”. Das Ziel dieser Experimente ist es, die Natur der Teilchen und fundamentalen Kräfte besser zu verstehen und damit offene Fragen zum Standardmodell und zu möglicher neuen Physik zu beantworten.

Beide Projekte basieren auf Entwicklungen, Studien und Arbeiten, die seit Jahren vorangetrieben werden. „Im Jahr 2022 bin ich im Rahmen des PRISMA Detector Innovation Postdoctoral Fellowship an die JGU gekommen, wodurch ich mir das nötige Fachwissen und Kompetenzen aneignen konnte, um ein ambitioniertes Experiment wie NuDoubt++ zu planen und durchzuführen,“ erklärt Schoppmann, der heute Projektleiter im PRISMA-Detektorlabor ist. Im Fall von NuLife hat die Vorarbeit sogar schon vor dem Exzellenzcluster PRISMA+ begonnen. „Die Entwicklung einer vollmagnetischen Falle für Neutronen, auf der mein Projekt basiert, wurde schon in Exzellenzcluster PRISMA von meinem Vorgänger Prof. Dr. Werner Heil angestoßen,“ sagt Fertl. „Im Exzellencluster PRISMA+ habe ich dann meine entscheidenden Ideen eingebracht, auf deren erfolgreicher Demonstration jetzt NuLife aufbaut.“

NuDoubt++: ein neuartiges Detektorkonzept zur Messung des doppelten Betazerfalls

NuDoubt++ befasst sich mit der Erforschung eines äußerst seltenen Kernprozesses, des sogenannten Doppel-Beta-Plus-Zerfalls, bei dem zwei Positronen freigesetzt werden – Teilchen, die Elektronen ähneln, aber eine positive Ladung haben. Aufgrund seiner Seltenheit, der Komplexität des Nachweisverfahrens und der geringen Verfügbarkeit geeigneter Materialien ist dieser Zerfall nur schwer zu detektieren. Die Mühe lohnt sich jedoch, da Messungen des doppelten Betastrahlungszerfalls ein leistungsfähiges Mittel zur Untersuchung der Natur der Neutrinos darstellen. Insbesondere kann damit getestet werden, ob Neutrinos ihre eigenen Antiteilchen sind, was sie als Majorana-Teilchen klassifizieren würde.

Zu diesem Zweck wird NuDoubt++ die Verwendung von Szintillatormaterialien vorantreiben. Diese Materialien emittieren Licht, wenn ein geladenes Teilchen oder Photon durch sie hindurchgeht, wodurch sie sich ideal für deren Detektion eignen. Bei der neuen, besonders leuchtstarken Klasse der langsamen hybriden Szintillatoren, die an der JGU entwickelt wurde, lassen sich sogar zwei verschiedene Arten von Licht besonders gut trennen, daher eignen sie sich für den Nachweis von Positronen. In der Regel werden dafür transparente Kristalle, Kunststoffe oder Flüssigkeiten verwendet. NuDoubt++ wird jedoch auch opake Szintillatoren einsetzen. Dabei wird eine neue Art von Material verwendet, mit dem das Experiment die Empfindlichkeit auf Doppelbetazerfälle erheblich verbessern kann. „Ich habe die Technologie der opaken Szintillatoren im Jahr 2019 entwickelt, indem ich einen klassischen transparenten Szintillator mit Wachs gemischt habe”, erklärt Schoppmann. „Mein aktueller Durchbruch bei der Kombination von opaken und hybriden Szintillatoren ermöglicht es NuDoubt++, alle Vorteile von Szintillator-Detektoren in einem einzigartigen und bahnbrechenden einheitlichen Ansatz zu vereinen, der die Empfindlichkeit der Messung maximiert. In den vergangenen zwei Jahren habe ich eine Forschungsgruppe an der JGU geleitet, die auf der Grundlage meiner Idee mithilfe von Computersimulationen ein vorläufiges Detektorkonzept entwickelt hat. Jetzt sind wir bereit, das Konzept in die Realität umzusetzen.“

Im ersten Jahr der Förderung durch den ERC Consolidator Grant sollen das Konzept und die Konstruktion des Detektors fertiggestellt werden. Im zweiten und dritten Jahr soll der Detektor in der Experimentierhalle des Instituts für Physik der JGU gebaut und getestet werden. In den letzten beiden Jahren der Förderung soll NuDoubt++ den Zwei-Neutrino-Doppel-Beta-Plus-Zerfall messen und die Präzision der aktuellen Experimente verbessern.

NuLife: ein hochpräziser Test der Struktur der schwachen Wechselwirkung

Das Ziel des NuLife-Projekts ist es, die Lebensdauer von Neutronen möglichst genau zu bestimmen. Dies ermöglicht einen hochpräzisen Test der Struktur der schwachen Wechselwirkung, die unzählige Phänomene bestimmt, darunter das Zahlenverhältnis leichter Elemente im frühen Universum, wie Helium zu Wasserstoff, oder den radioaktiven Zerfall von Neutronen und Kernen.

Das NuLife-Projekt wird hauptsächlich in Mainz entwickelt und wird die Grundlagen für die Verbesserung der Präzision des zukünftigen Experiments τSPECT2 schaffen. τSPECT2 basiert auf dem aktuellen τSPECT-Experiment, das unter der Leitung von Fertls Gruppe am Paul Scherrer Institut in der Schweiz betrieben wird. Dabei werden sogenannte ultrakalte Neutronen (UCN) verwendet, um die Neutronenlebensdauer zu messen. Diese extrem langsamen Neutronen können gespeichert werden, und anhand der Anzahl der Neutronen, die die Speicherzeit überleben, lässt sich ihre Lebensdauer ermitteln. NuLife wird eine bahnbrechende supraleitende Falle für die Speicherung von UCN entwickeln. In Kombination mit innovativen Strahllinienkonzepten kann dadurch die Anzahl der beobachteten Neutronenzerfälle drastisch erhöht werden. An modernen UCN-Quellen werden die sehr langsamen Neutronen in großer Zahl erzeugt. „Eine erfolgreiche Umsetzung von NuLife wird die Anzahl der im τSPECT2-Experiment gespeicherten Neutronen, im Vergleich zu unserem Prototyp-Aufbau τSPECT um einen Faktor von bis zu 200 erhöhen können”, erklärt Fertl. „Dadurch wird das τSPECT2-Experiment in die Lage versetzt, die großen Datensätze zu sammeln, die erforderlich sind, um die Neutronenlebensdauer mit einer Genauigkeit von 0,1 Sekunden oder besser zu bestimmen. Diese hohe Präzision erlaubt es zu prüfen, ob die gemessene Neutronenlebensdauer mit den Vorhersagen des Standardmodells der Teilchenphysik übereinstimmt, und experimentelle Spannungen zwischen den präzisten Beobachtungen zu beleuchten. Weiterhin werden hochsensible Untersuchungen der mathematischen Struktur des Standardmodells ermöglicht, welche entweder sehr strenge Grenzen für die Physik jenseits des Standardmodells setzen oder neue schwache Wechselwirkungen, neue Teilchen und neue Strukturen der schwachen Wechselwirkung entdecken.“

Das NuLife-Projekt soll die herausragende Leistungsfähigkeit des τSPECT-Experiments vollständig in eine beispiellose experimentelle Genauigkeit der Messung der Neutronenlebensdauer umsetzen, wodurch es zu einer Referenz bei der Erforschung der Physik jenseits des Standardmodells werden könnte.