Neues Instrument bietet sehr gute Chancen für die Entdeckung von Dunkle-Materie-Teilchen in den kommenden Jahren
18.05.2017
-- Gemeinsame Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Kernphysik in Heidelberg und der Universitäten Freiburg, Mainz und Münster --
Verschiedene astronomische Beobachtungen legen die Anwesenheit von Dunkler Materie als wesentlichen Bestandteil des Universums nahe. Sie müsste rund fünfmal häufiger sein als normale, sichtbare Materie. Der direkte Nachweis Dunkler Materie und die Erforschung ihrer Eigenschaften ist deshalb eines der wichtigsten Ziele der modernen Teilchenphysik. Dazu suchen Forscher mit extrem empfindlichen Detektoren nach Wechselwirkungen der Dunkle-Materie-Teilchen mit normalen Teilchen. Diese extrem schwachen Wechselwirkungen haben sich aber bisher der Entdeckung entzogen, was die Wissenschaftler dazu zwingt, immer noch empfindlichere Detektoren zu bauen.
Die XENON-Kollaboration, die mit dem XENON100-Experiment jahrelang führend war, hat sich nun mit ihrem neuen Instrument XENON1T an der Spitze zurückgemeldet. Die Daten der ersten 30 Messtage zeigen, dass dieser Detektor den bisherigen Rekord für die geringste Radioaktivität deutlich verbessert. Diese ist um viele Größenordnungen niedriger als in der normalen irdischen Umgebung. Radioaktivität erzeugt Störsignale, vergleichbar mit dem Licht der Städte, das den Blick auf den Sternenhimmel beeinträchtigt. XENON1T verwendet etwa 3.200 Kilogramm des flüssigen Edelgases Xenon als Detektormaterial und ist damit der größte jemals gebaute Detektor seiner Art. Aufgrund der Kombination von Größe und Reinheit hat XENON1T in den kommenden Jahren sehr gute Chancen, Dunkle-Materie-Teilchen zu finden.
Astronomen bauen ihre großen Teleskope auf abgelegene hohe Berge, wo die Nächte dunkel sind. Um das radioaktive "Störlicht" zu entfernen, ist jedoch anders vorzugehen: Gut geschützt vor kosmischer Strahlung ist das XENON1T-Instrument seit Herbst 2016 im italienischen Gran-Sasso-Untergrundlabor im Messbetrieb. In der unterirdischen Experimentierhalle ist davon nur ein riesiger stählerner Wassertank und ein dreistöckiges durchsichtiges Gebäude daneben zu sehen. Darin ist die für den Betrieb des Experiments notwendige Technik untergebracht. Der Wassertank ist mit hochreinem Wasser gefüllt, das den Detektor in seiner Mitte vor Strahlung aus der Umgebung und restlicher kosmischer Strahlung schützt. Der eigentliche Detektor, eine sogenannte Flüssig-Xenon-Zeit-Projektionskammer (time projection chamber, TPC), befindet sich in einem Isoliergefäß, das dafür sorgt, dass das flüssige Xenon -95°C kalt bleibt, ohne dass das Wasser gefriert.
Aber selbst perfektes Abschirmen gegen äußere Einflüsse ist nicht ausreichend, weil alle Materialien auf der Erde geringe Spuren von natürlicher Radioaktivität enthalten. Um möglichst wenig Radioaktivität in den Detektor einzubringen, war es daher erforderlich, alle verwendeten Materialien sorgfältig auszuwählen, zu verarbeiten und zu reinigen. Nur so gelang es, das Zentrum von XENON1T zu einem der reinsten Orte des Universums zu machen. Dies ist Voraussetzung, die extrem seltenen Signale von Dunkler Materie zu finden.
Wenn ein Teilchen in flüssigem Xenon wechselwirkt, entstehen winzige Lichtblitze. Die XENON-Wissenschaftler registrieren diese und bestimmen daraus den Ort der Wechselwirkung und die Energie des Teilchens – und ob es Dunkle Materie sein könnte oder nicht. Infrage dafür kommen nur Ereignisse im Zentrum des Detektors, das etwa eine Tonne Xenon umfasst. Das äußere Xenon bildet eine zusätzliche Abschirmschicht gegen restliche Spuren von Radioaktivität im Material.
Schon mit den in den ersten 30 Tagen gesammelten Daten übertrifft die Empfindlichkeit von XENON1T alles bislang Dagewesene, auch wenn bisher noch keine Dunkle Materie gefunden wurde. XENON1T ist in einer ausgezeichneten Position im Rennen um die Entdeckung der Dunklen Materie.
In der internationalen XENON-Kollaboration arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den USA, Deutschland, Italien, der Schweiz, Portugal, Frankreich, den Niederlanden, Israel, Schweden und den Vereinigten Arabischen Emiraten zusammen. Aus Deutschland sind das Max-Planck-Institut für Kernphysik (MPIK) in Heidelberg, die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, die Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und die Westfälische Wilhelms-Universität Münster beteiligt.
Prof. Dr. Uwe Oberlack von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz zählt zu den Gründungsmitgliedern des XENON-Programms zur Suche nach Dunkler Materie. Bevor der Physiker 2010 an die JGU kam, war er zehn Jahre lang in den USA auf diesem Forschungsgebiet und in der Hochenergie-Astrophysik tätig. Oberlack zählt zu den weltweit anerkannten Experten in der Erforschung der Dunklen Materie. Seine Mainzer Arbeitsgruppe beteiligt sich an den XENON-Experimenten sowohl bei der Datenanalyse und den Simulationen als auch bei der Detektortechnologie. Hier sind die Mainzer Astroteilchenphysiker insbesondere für den Myon-Detektor zuständig und am Xenon-Lagersystem ReStoX sowie am inneren Detektor beteiligt.